Zwischenräume
Alsace-Moselle - un laboratoire de droit /// Elsass-Lothringen als juristisches Laboratorium
(DFG-Projekt)
Worum geht es?
Die kontinentaleuropäische Rechtsgeschichte der Moderne ist vor allem die Rechtsgeschichte des Nationalstaats mit seinen klaren Grenzen und dem Bestreben, auf seinem Territorium ein einheitliches, kodifiziertes Recht durchzusetzen und partikulare Rechtskulturen zugunsten einer – jedenfalls postulierten – nationalen Rechtskultur zu beseitigen. „Zwischenräume“ sind in diesem Modell nicht vorgesehen. Auch wenn sie zu einem bestimmten Nationalstaat gehören, existieren aber trotzdem Regionen, die häufig gekennzeichnet sind nicht nur durch Mehrsprachigkeit, Polykonfessionalität sowie multiple Loyalitäten und Identitäten ihrer Bewohner, sondern auch durch rechtskulturellen Austausch und Pluralismus. Verschiedene Rechtskulturen begegnen sich dort, überlagern sich, verbinden sich und erzeugen eine regionale Rechtskultur – oder bekämpfen sich. Gleichzeitig fungieren diese Regionen nicht selten als Laboratorien für die Erprobung neuen Rechts, das erst später im Gesamtstaat eingeführt wird. Weil Zwischenräume aus der Perspektive des modernen Nationalstaats als pathologische Erscheinung zu bewerten sind, kamen sie in einer am Modell des Nationalstaats mit einer einheitlichen Rechtsordnung erzählten Rechtsgeschichte der Moderne oftmals nicht vor.
Der europäische Zwischenraum schlechthin dürfte die französisch-deutsche Grenzregion sein. Das Rheinland war im gesamten 19. Jahrhundert eine Region des rechtskulturellen Austauschs und der Rechtspluralität. Nach 1815 galt französisches Recht als Badisches oder Rheinisches Recht fort und beeinflußte die Rechtsentwicklung in den Staaten des Deutschen Bundes vor allem nach 1848/49, während umgekehrt die deutsche Rechtswissenschaft vor allem zum Code Civil in Frankreich breit rezipiert wurde. Der spiegelbildliche Vorgang einer Fortgeltung deutschen Rechts und seines Einflusses auf die französische Rechtsentwicklung findet sich in Alsace-Moselle, dem Gebiet des ehemaligen Reichslands Elsaß-Lothringen, nach 1918. Dieser Zwischenraum ist Gegenstand rechtshistorischer Forschung geworden, auch wenn die Geschichtswissenschaft mit Blick auf das in Elsaß-Lothringen geltende Recht beispielsweise noch immer recht pauschal und abwertend von einer „kuriosen deutsch-französischen Mischung aus Vorgaben und Gesetzen“ spricht, was einem einseitig national grundierten Blick auf Recht geschuldet sein dürfte.
Publikationen
- Martin Löhnig (Hrsg.), Elsass-Lothringen als juristisches Laboratorium, Regensburg (rechtskultur wissenschaft, Bd. 29) 2023 (ISBN: 978-3-96374-051-0).
- Martin Löhnig, Droit Local: Deutsches Recht in Frankreich zum Beginn des 20. Jahrhunderts - Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht, Berlin (Duncker&Humblot, Schriften zur Rechtsgeschichte Bd. 213) 2023 (ISBN: 978-3-428-18885-7).
- Martin Löhnig, Das Reichsoberhandelsgericht als Cour de Cassation für Elsass-Lothringen und seine Rechtsprechung in Zivilsachen (1871-1879), ZRG (Germ) 140 (2023), S. 333-390.
- Moritz P. Bach, Das Stellvertretungsrecht in der Gerichtspraxis des Appellationsgerichts bzw. Oberlandesgerichts Colmar in den Jahren 1871-1900 Berlin (Duncker&Humblot, Schriften zur Rechtsgeschichte Bd. 218) 2023 (ISBN: 978-3-428-19035-5).
- Martin Löhnig, „Ein Beamtenstand in der Justiz, welcher in keinem anderen deutschen Lande übertroffen wäre“ – Die Erstbesetzung des Appellationsgerichts Colmar 1871, ZNR 43 (2023), S. 174-212.
Vorträge
- 10.01.2023: Martin Löhnig, Deutsches Recht in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Das droit local alsacien mosellan (Rechtsgeschichtliche Gesellschaft Wien)
- 22.05.2023: Martin Löhnig, Droit Local - Deutsches Zivilrecht, Handelsrecht und Zivilprozeßrecht in Frankreich (Fakultätsseminar der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg)
- 06.06.2023: Cordula Scholz Löhnig, Le divorce dans le Reichsland Elsaß-Lothringen de 1871 à 1918 (Archives départementales du Bas-Rhin, Strasbourg)
Reichsoberhandelsgericht
Eray Gündüz, Die Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts in Zivilsachen in seiner Funktion als Cour de Cassation für Elsass-Lothringen (1871–1879) [--->]
Tagung 2021
Panel 1: Verfassung und Verwaltung (25/10/2021, 09.00)
Leitung: Michel Mattoug
- Benoit Vaillot – Das Verfassungsrecht des Reichslandes Elsass-Lothringen
- Stefan Fisch – Besatzungs- und Regelverwaltungen im Elsass zwischen 1870 und 1918
- Philipp Heckmann-Umhau – Städtebau statt Planung? Baurecht im Reichsland Elsass-Lothringen (1871-1918)
- Damien de Santis – „Les Maudits“: Analyse de la germanisation judiciaire dans le Reichsland Elsass Lothringen 1871-1880
Panel 2: Franzosen? Deutsche? Elsass-Lothringer? (25/10/2021, 14.00)
Leitung: Stefan Fisch
- Benoit Vaillot – Die Elsass-Lothringer, Deutsche wie alle anderen? Das Staatsangehörigkeitsrecht in Elsass-Lothringen
- Johannes Großmann – Ein inneres Exil? Die kriegsbedingte Evakuierung der elsässischen und lothringischen Grenzbevölkerung 1939/40 in den Südwesten Frankreichs
Panel 3: Staat und Kirche (25/10/2021, 16.00)
Leitung: Martin Löhnig
- Martin Otto – Gallisches Dorf im Laizismus? Gallikanisches Dorf im Landeskirchentum?
- Cordula Scholz Löhnig – Das Eherecht im Reichsland Elsaß-Lothringen in Zeiten des Kulturkampfes
Panel 4: Rechtspluralismus (26/10/2021, 09.00)
Leitung: Cordula Scholz Löhnig
- Nicolas Nord – De l’organisation de la coexistence entre le droit français et le droit local: Etude des règles de conflit issues de la loi du 24 juillet 1921
- Eray Gündüz – Zwischen Konsens- und Abstraktionsprinzip: die Einführung des Grundbuchs in Elsaß-Lothringen
Panel 5: Droit Local (26/10/2021, 11.00)
Leitung: Johannes Großmann
- Elisabeth Schneider – Histoire et actualité du droit local alsacien-mosellan: Exemples du droit local des assurances
- Michel Mattoug – Das elsässisch-moselländische Recht in der neueren französischen höchstrichterlichen Rechtsprechung
Förderung: Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung
Förderer
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Fritz Thyssen Stiftung
Universitätsstiftung Hans Vielberth